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Vollständige Version anzeigen : Frage zum Boxer-Urteil



Raging Bull
28-06-2012, 11:44
Ich bin beim Durchstöbern des Forums auf 2 sich widersprechende Aussagen gestoßen:

Einmal von Luggage


Es gibt auch das Boxer-Urteil, worin Schläge seitens eines Boxers als nicht gerechtfertigt angesehen wurden, mit denen er sich gegen einen körperlich massiv unterlegenen Gegner zur Wehr setzte. Dem Boxer wurde vorgeworfen, er hätte auf seine Sonderfähigkeiten hinweisen müssen. Dies ist wohl eines der Urteile, die zu der Mär geführt haben, Kampfsportler müssten grundsätzlich auf ihre Fähigkeiten hinweisen, bevor sie sie einsetzten, was aber keinesfalls richtig ist. Im Einzelfall kann es aber als unbillig angesehen werden, einen massiv unterlegenen Gegner sozusagen lächelnd ins Messer laufen zu lassen, wie eben im Boxerfall. Wie man diese Einschränkung dogmatisch verortet ist wohl nicht ganz klar, vllt als sozial-ethische Einschränkung im Rahmen der Gebotenheit, um die Notwehrhandlung nicht rechtsmissbräuchlich werden zu lassen.

Kampfsportler-Sein hat in der Notwehr durchaus eine Bewandnis, wenn auch nicht die, die gerne zitiert wird.

http://www.kampfkunst-board.info/forum/f16/meldepflicht-notwehr-unverschuldeten-unfall-95426/index3.html

und einmal von Twist

Eine auch für Nicht-Juristen verständliche Erklärung der Notwehr findet ihr bei Wikipedia (.. es gibt KEINE Verhältnismäßigkeit bei der Notwehr).

Und ein Urteil, das den Kampfsportler freigesprochen hat (obwohl er den Angreifer sogar tödlich verletzt hat) gibts von mir, um mal diese 'Kampfsportler-Urban-Legends zu beenden:

Am 15. Juni 1970 nahm der vierunddreißigjährige F. bei einem Abendspaziergang daran Anstoß, daß der damals knapp zweiundzwanzig Jahre alte Angeklagte ein sich dagegen sträubendes sechzehnjähriges Mädchen mit schmerzhaftem Griff an dessen Arm vorbeiführte und ihm eine Ohrfeige versetzte. Er forderte den Angeklagten auf, das Mädchen in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte widersprach mit den Worten, das gehe ihn nichts an, und setzte seinen Weg fort, ohne den Griff um den Arm des Mädchens zu lösen. F. ging ihm darauf nach und faßte ihn am Arm. Der Angeklagte wandte sich, das Mädchen loslassend, um, gab F. einen Stoß vor die Brust und wiederholte, die Sache gehe ihn nichts an. Bei dem nachfolgenden Handgemenge zog. F. den kürzeren: er kam auf der Straße zu sitzen. Während der Angeklagte mit dem Mädchen, das auf ihn gewartet und ihn zum Mitkommen aufgefordert hatte, weiterging, sprang der über die Reaktion des Angeklagten empörte F. auf und griff den Angeklagten erneut mit den Armen zuschlagend an. Über eine Strecke von 15 Metern wehrte dieser rückwärts gehend und sich duckend die Schläge des F. ab. Er forderte ihn dabei mehrfach zum Aufhören auf. Als das nicht fruchtete, versetzte er dem Angreifer mit der linken Faust einen schnellen gezielten Schlag ins Gesicht, der diesen zu Boden streckte und die tödlichen Verletzungen herbeiführte.

Der Angeklagte war "trainierter, auch in Wettkämpfen geübter Boxer". Notwehrlage wurde vom BGH bejaht (obwohl für den F anfangs durchaus eine Nothilfelage gegeben war.. falls sich da jemand wundert).

http://www.kampfkunst-board.info/forum/f15/strafrechtliche-relevanz-kampfsport-42776/index3.html


Beides sind offenbar Juristen mit guten Fachkenntnissen. Mir geht es jetzt nicht um die alte Leier, wer wo wann was darf, sondern lediglich darum, ob der Boxer nun verurteilt wurde (wie Lugagge schreibt) oder freigesprochen wurde (wie Twist schreibt).

Ich habe dazu nur das BGH-Urteil selbst gefunden:
https://www.jurion.de/de/document/show/0:430758,0/

Darin steht:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht in Koblenz vom 26. November 1974 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Schwurgericht zurückverwiesen.

Das Urteil wurde also aufgehoben. Nicht ersichtlich ist, ob der Boxer dennoch wieder verurteilt wurde. Vielleicht kann einer hier, bestenfalls sogar Luggage oder Twist, was dazu sagen.

Gruß Bull

Sokolo
28-06-2012, 16:13
Mir geht es jetzt nicht um die alte Leier, wer wo wann was darf, sondern lediglich darum, ob der Boxer nun verurteilt wurde (wie Lugagge schreibt) oder freigesprochen wurde (wie Twist schreibt).

Luggage hat Recht. Der BGH geht von einem Überschreiten der Erforderlichkeit aus, weil der Verteidiger als trainierter Boxer dem Angreifer massiv überlegen war und bejaht daher die Rechtswidrigkeit der Tat.

Er wirft jedoch die Frage auf, ob dem Täter seine absolute Überlegenheit bewusst war und er möglicherweise bei der Wahl des mildesten Mittels einem Erlaubnistatbestandsirrtum unterlag. Da das LG diese Frage nicht ausreichend geprüft habe, erkennt er auf Mängel bei der Tatsachenfeststellung und verweist zurück.

Wie das LG Koblenz bei der Neuverhandlung entschieden hat, wird ohne erheblichen Aufwand kaum feststellbar sein, da Landgerichtsurteile nicht zentralisiert gesammelt werden.

Raging Bull
28-06-2012, 17:23
Danke Sokolo.

War eigentlich logisch, dass er nach der Feststellung

Es ist jedoch der Ansicht, daß der Angeklagte mit diesem Schlag über das zulässige Maß der erforderlichen Abwehr hinausging und begründet dies an sich auch zutreffend, indem es die zu diesem Zeitpunkt gegebenen Kräfteverhältnisse des Angreifers und des Angeklagten in Vergleich setzt und insbesondere in Rechnung stellt, daß der Angeklagte als trainierter, auch in Wettkämpfen geübter Boxer die Lage beherrschte und die Möglichkeit gehabt hätte, den Angriff durch einen weniger gefährlichen Schlag (etwa auf Brust oder Arme des Angreifers) ein Ende zu setzen.

seitens des BGH kein Freispruch in der Hinsicht zu erwarten war. Mir fehlt einiges an Schlaf.